„Seid lautstark, radikal und naturverbunden!“

Mitte der 80er Jahre war Prof. Dr. Tobias Plieninger in der NAJU Baden-Württemberg aktiv. Im Gespräch mit Melanie Müller aus dem aktuellen NAJU Landesvorstand spricht er über sein Engagement damals und darüber wie er die NAJU heute sieht.

"Politiker verschlafen die Klimawende!" Eine Jugendumweltdemo der NAJU in den 90er Jahren - Foto: privat

"Politiker verschlafen die Klimawende!" Eine Jugendumweltdemo der NAJU in den 90er Jahren - Foto: privat

07.09.2020 -

 

Prof. Dr. Tobias Plieninger (49) leitet den Fachbereich „Sozial-ökologische Interaktionen in Agrarsystemen“ an den Universitäten Kassel und Göttingen. Der gebürtige Göppinger gründete in den 1980er Jahren die dortige NAJU-Gruppe und war später im Landesvorstand aktiv. Melanie Müller (24) engagiert sich seit 2015 in der NAJU. Im Oktober 2019 wurde sie in den NAJU-Landesvorstand gewählt. Gemeinsam unternehmen die beiden eine Reise in die Vergangenheit.

Melanie Müller: Wie bist Du zur NAJU gekommen, Tobias?

Tobias Plieninger: Mitte bis Ende der Achtziger Jahre haben wir uns in der Schule mit ein paar Leuten zusammengefunden. Da war ich etwa fünfzehn Jahre alt. Wir haben Vögel bestimmt, Bach-Patenschaften übernommen, Hecken gepflegt. Daraus entstand die NAJU-Gruppe. Nach und nach wurden wir politischer. Der damalige Texaco-Ölkonzern hatte im Nationalpark Wattenmeer eine Ölplattform aufgebaut. An der einzigen Texaco-Tankstelle im Landkreis postierten wir uns samstags mit Plakaten und riefen zum Boykott auf. Wir organsierten fast jeden Samstag Aktionen, etwa Infostände in der Fußgängerzone, Pflegeeinsätze oder Demos.

MM: Welche Aspekte waren Dir bei der Vorstandsarbeit wichtig?

TP: Es gab damals in der NAJU die klassischen Vogelschützer*innen, die teilweise wirklich angestaubt daherkamen und denen alles Politische suspekt war. Und dann gab es die damals sehr angesagten Projektwerkstätten-Leute, die alles, was mit traditionellen Verbandsstrukturen zu tun hatte, in Frage stellten. Wir haben versucht, zwischen diesen Polen zu vermitteln und so die NAJU zu öffnen und zu modernisieren. Wichtig war uns auch der Kontakt zu anderen Aktiven, etwa den Umweltreferent*innen der Schülermitverantwortungen an den Schulen. Wir haben versucht, diese durch Kongresse, eine Zeitschrift und aktives Netzwerken in unsere Aktivitäten einzubinden.

MM: Welchen Blick hast Du heute auf die NAJU?  

TP: Den Ansatz, den wir damals unbewusst entwickelt hatten – praktischer Naturschutz verbunden mit einem politischen Denken und Handeln – halte ich für eine gute Mischung. Wir waren damals wahnsinnig stolz, wenn wir zur Filstal-Radtour gegen den Ausbau der B10 mal 100 Leute zusammengekriegt haben. Man kannte uns, der Oberbürgermeister, der Landrat. Aber ich glaube, sie haben uns eher unter „nette Kuriositäten“ verbucht. So richtig ernst genommen hat uns keiner. Heute ist fast jedem klar, dass unser aller Überleben, unser Wohlbefinden und auch unsere Arbeitsplätze von einer intakten Umwelt abhängen. Das ist auch ein Verdienst der inzwischen durch „Fridays for Future“ stark gewordenen Jugendumweltbewegung.

MM: Wie kann es gelingen, junge Leute für ein Engagement bei der NAJU zu begeistern?   

TP: Die Herausforderung ist, das vielfach vorhandene Interesse an Nachhaltigkeit mit der Bereitschaft, sich dauerhaft in einer Organisation wie der NAJU einzubringen, zu verbinden. „Niederschwellige“ Mitmach-Angebote können helfen, den Weg in die Jugendorganisation zu finden und sich vielleicht später dort dauerhaft zu engagieren. Ich finde es wichtig, dass Ihr in Eurer knappen Freizeit nicht das Gefühl habt, Euch für die gute Sache aufopfern zu müssen. Vielmehr ist NAJU-Arbeit dann besonders wirksam und nachhaltig, wenn sie Spaß macht, einen mit netten Menschen zusammenbringt und man etwas lernen kann. Von diesen positiven Erfahrungen in der Jugendnaturschutzarbeit zehre ich bis heute.

MM: Gibt es etwas, das Du uns mit auf den Weg geben möchtest?   

TP: Fordert weiterhin so lautstark und radikal einen raschen Übergang zu einer nachhaltigeren Gesellschaft ein! Und vernachlässigt dabei nicht die Naturkunde. Die Liebe zur Natur ist etwas, das einen erdet und auch Optimismus und Mut geben kann. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass das Engagement von Menschen für den Umweltschutz in Verbindung gebracht werden kann mit positiven Naturerfahrungen in der Jugend.

MM: Herzlichen Dank für das Gespräch!

*Das Interview ist in kürzerer Fassung in den Regionalseiten Baden-Württemberg der "Naturschutz heute" 3/2020 erschienen.